Letzte Bearbeitung: 18. Juli 2024 © MEC Bergheim (Erft) e. V.
Wie schön ist es, ein Kind zu sein!
Wie schön ist es, sich als alt gewordener Mensch an die Eisenbahnzeit nach dem 2. Weltkrieg bis heute zu erinnern.
Auf meinen 6. Geburtstag im Oktober 1945 kehrten meine Mutter und ich aus der Evakuierung aus der Nähe von Weilburg/Lahn im
Westerwald nach Köln zurück. In einer notdürftig hergerichteten Wohnung und der Stadt Köln als meistzerstörter Stadt in Deutschland bot sich
Kindern keine Möglichkeit zum Spielen, außer in den Trümmern.
Mein Vater war nach der Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft wieder als Lokführer im Bahnbetriebswerk (Bw) Köln-Deutzerfeld
tätig. Von dieser Zeit an war K.-Deutzerfeld mein 2. Zuhause mit Drehscheibe, großem Lokschuppen, Schiebebühne, mit vielen
unterschiedlichen großen und kleinen Lokomotiven. Das gesamte Deutzerfelder Lok-und Werkstattpersonal kannte mich von meinen vielen
Besuchen und deshalb war es stets etwas Besonderes, mit ausfahrenden Zügen aus dem Bw Deutzerfeld bis in den Bahnhof Köln-Deutz
mitzufahren. Damals gab es noch Bahnsteigsperren, deshalb ging der jeweilige Lokführer oder Heizer mit mir zur Sperre, damit ich den
Bahnhof wieder verlassen konnte.
Die Baureihen im Bw kannte ich alle: Baureihe 01, 03, 38 (P 8), 78. Als Gastlokomotiven kamen am häufigsten die Baureihe 39 (P 10) aus
Jünkerath und an anderen Tagen die Baureihen 78 und 64 (Bubikopf). Hin und wieder waren auch die Güterzuglokomotiven der Baureihe 50
aus Köln-Gremberg und die Baureihe 55 aus Köln-Kalk-Nord zu sehen, um Kohlen, Holz und andere Materialien zu transportieren.
In besonderer Erinnerung habe ich den Blick von meinem Platz am Mittagstisch. Täglich um ca. 13,45 Uhr beobachtete ich die großen Loks
(BR 01 und 03) auf den Bahnstrecken Köln-Düsseldorf, Köln-Wuppertal und die Güterzugstrecke Köln-Kalk-Gremberg nach Bonn-Beuel.
Und jeden Tag stampfte die BR 55 aus dem Bw. Köln-Kalk-Nord mit verschiedenen Güterwagen zu ihrem Bestimmungsort. Nach Auflösung
des Bw. Köln-Kalk-Nord wurde es Fabrikgelände von Klöckner-Humboldt-Deutz.
Das Bahnbetriebswerk Köln-Betriebsbahnhof (später Bw. Köln 1) in unmittelbarer Nähe des Kölner Hauptbahnhofs kannte ich nur vom
Vorbeifahren, im Wesentlichen waren dort die gleichen Baureihen anzutreffen wie im rechtsrheinischen Bw. Köln-Deutzerfeld. Das Bw Köln-
Deutzerfeld bediente mit Zügen über die Hohenzollernbrücke die Gebiete im linksrheinischen Raum, z. B. Bonn, Koblenz, Mainz, Trier, Eifel
und holländische Städte. Vom linksrheinischen Bw Köln 1 wurden die Gebiete im rechtsrheinischen Raum angefahren, z. B. Düsseldorf,
Wuppertal, Bonn-Beuel, Frankfurt, Sauer- und Sieger- und Bergisches Land, z. B. Lindlar, Overath.
Das jährliche Sommerfest des humanistisch-altsprachlichen Gymnasiums in Köln-Mülheim (heute: Hölderlin-Gymnasium) fand auf Haus
„Hummelsbroich“ bei Bensberg statt. Hin- und Rückfahrt erfolgte mit einem Sonderzug von Köln-Hbf über Köln-Deutz, Köln-Mülheim, Köln-
Holweide, Köln-Dellbrück, Berg-Gladbach bis zur Endstation Bensberg. Der Zug war mit einer Lok der BR 93 bespannt.
Eine besondere „Eisenbahn-Freude“ war die jährliche Sommerferienfahrt in die Nähe von Weilburg (Lahn), ohne Begleitung der Eltern. Mein
Vater brachte mich zwar mit einigem Gepäck zum Köln-Deutzer Bahnhof, sagte mir mehrmals eindringlich, dass ich beim Umsteigen im
Bahnhof Niederlahnstein nur auf die andere Seite des Bahnsteigs zu gehen brauche, um wenige Minuten später mit einem Eilzug
lahnaufwärts bis Weilburg zu fahren. Diesen Rat des sachkundigen Vaters habe ich aber nicht befolgt und bin ca. eine Stunde später mit
einem „Bummelzug“ gefahren, um die Landschaft der Lahn zu genießen, - besonders interessierten mich die damals häufig anzutreffenden
Bienenhäuser. Um die Mittagszeit traf ich meine Freunde des Weilburger Gymnasiums, mit denen ich ja in meinem Ferienort aufgewachsen
war.
Heute bin ich noch genauso von der Eisenbahn begeistert mit noch mehr Möglichkeiten als im Kindesalter:
1. Bau einer Modellbahn-Anlage im Jahr 1980 mit einer rechtsrheinischen Realschulklasse mit mehrmaliger Erweiterung und Ausbau
2. zahlreiche Foto- und Filmaufnahmen
3. Ansicht von DVD-Eisenbahn-Unterlagen
4. Erwerb von Papierbildern
5. Besuch von Eisenbahnfesten in Deutschland, z. Koblenz-Lützel, Gerolstein, Altenbeken, von Bahnhöfen und Bahnstrecken im In- und
Ausland, z. B. Holland, Belgien, Österreich und die Schweiz.
Wenn ich meine Gedanken über viele Eisenbahnjahrzehnte zurückgehen lasse und voll Dankbarkeit und Begeisterung zurückblicke, kommt
mir das Sprichwort von Jean Paul in den Sinn:
„Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“.
Im November 2020
Alle Bilder Arichiv Dr. Gütgemann
Erinnerungen eines Lokführersohnes
an die Eisenbahn von 1945 bis heute
von Dr. Richard Gütgemann